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Transport und Speditionsrecht
Ersatz eines Transportschadens; Voraussetzung einer qualifizierten Haftung; fehlende Schnittstellenkontrolle, fehlende Diebstahlssicherungen als qualifiziertes Verschulden, Erfüllung der sekundären Darlegungslast

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 17. 10. 2020 entschieden, dass der Klägerin ein über die Regelhaftung der CMR hinausgehender Schadensersatzanspruch wegen Verlust von Frachtgut nicht zustehe, da ihr der Beweis für ein qualifiziertes Verschulden durch fehlende Schnittstellenkontrolle und unzureichende Ladungssicherung gegen Diebstahl nicht gelungen sei. Die Beklagte habe im Rahmen der ihr obliegenden sekundären Beweislast ausreichend substantiiert dargelegt, dass sie eine ausreichende Schnittstellenkontrolle durchgeführt habe und keine für sie erkennbaren Anzeichen für eine erhöhte Diebstahlsicherung bestanden habe.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.10.2020, Az.: 18 U 46/19
Angewendete Vorschriften: Art. 17 Abs. 1, 23, 25 CMR, Art. 29 CMR

Die Beklagte erhielt den Auftrag, 147 Kartons mit hochwertiger Kleidung im Wert von ca. 30.000 Euro mit einem Sendungsgewicht von 721,40 kg zu einer Empfängerin in Frankreich zu transportieren. Die Beklagte holte das Sendungsgut bei einem von der Klägerin benannten Lagerhalter (spätere Streithelferin) ab. Bei Ankunft des Transportfahrzeuges bei der Empfängerin in Frankreich stellte sich heraus, dass exakt die 147 Kartons der Klägerin sich nicht mehr auf der Ladefläche befanden, während alles andere mittransportierte Frachtgut noch vorhanden war.

Die Klägerin begründet ihren Anspruch mit dem qualifizierten Verschulden der Beklagten in Form einer fehlerhaften Schnittstellenkontrolle und einer unzureichende Ausgangskontrolle im Lager der Streithelferin. Zwar sei ein Diebstahl nicht ausgeschlossen. Da sich aber am Ankunftsort alles andere Frachtgut auf dem Fahrzeug befunden habe, außer den 147 Kartons der Klägerin, sei nicht auszuschließen, dass sich das Transportgut überhaupt nicht auf dem Auflieger befunden habe. Da allein diese Sachlage auf ein qualifiziertes Verschulden wegen fehlender Schnittstellenkontrolle hinweise, sei ein qualifiziertes Verschulden widerleglich anzunehmen. Die Beklagte müsse daher beweisen, dass sie das Frachtgut verladen habe. Die Vermutung des qualifizierten Verschulden sei auch deswegen gegeben, da unstreitig sei, dass die Hintertür des Planenaufliegers nicht verschlossen und die seitliche Plane nicht beschädigt gewesen sei und somit auf eine unzureichende Diebstahlssicherung des Frachtguts geschlossen werden könne.

Das Oberlandesgericht hat dann zunächst die grundsätzlich geltenden Regeln zur Darlegungs- und Beweislast erörtert, um sie dann auf die Besonderheiten des Falles anzuwenden.

Grundsätzlich trägt der Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass dem Anspruchsgegner ein qualifiziertes Verschulden anzulasten ist. Die ihm obliegende Darlegungslast erfüllt der Anspruchsteller bereits dann, wenn sein Klagevortrag nach den Umständen des Falles ein qualifiziertes Verschulden nahelegt und allein der Anspruchsgegner in zumutbarer Weise zu der Aufklärung des in seinem Bereich entstandenen Schadens beitragen kann (BGH, Urteil vom 13.09.2012, I ZR 14/11, NJW-RR 2013,813). Dasselbe gilt, wenn sich aus dem unstreitigen Sachverhalt Anhaltspunkte für ein entsprechendes Verschulden ergeben (Pokrant/Gran, Transport- und Logistikrecht, 10. Aufl., Rz. 69 m.w.N.). Kann der Frachtführer nicht oder nicht ausreichend dazu vortragen, welche Umstände seines Wissens zum Schaden geführt haben und welche Schadensursachen er ermitteln konnte, wird die Behauptung eines Organisationsverschuldens als zutreffend vermutet.

Welche Sicherheitsvorkehrungen der Transportunternehmer zur Verhinderung von Diebstahl und Raub des Frachtgutes ergreifen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Je größer die mit der Güterbeförderung verbundenen Risiken sind, desto höhere Anforderungen sind an die zutreffenden Sicherheitsmaßnahmen zu stellen. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob das transportierte Gut leicht verwertbar und damit besonders diebstahlsgefährdet ist, welchen Wert es hat, ob dem Frachtführer die besonderen Gefahrenlage bekannt war oder sein musste und welche konkreten Möglichkeiten einer gesicherten Fahrtunterbrechung es gab, um vorgeschriebene Ruhezeiten einzuhalten.

Das OLG kommt zu dem Ergebnis, dass die Beklagte ihre sekundären Darlegungs- und Beweislast Genüge getan hat, in dem sie die Ladeliste vorgelegt hat und zur Übernahme der streitgegenständlichen Sendung durch den Fahrer entsprechenden Beweis angetreten habe. Sie habe damit die Vermutung einer fehlenden Schnittstellenkontrolle ausreichend widerlegt. Anders als in dem von der Klägerin zitierten Urteil des BGH vom 30.01.2008, 1 ZR 146/05, habe sie darüber hinaus nicht darlegen und beweisen müssen, dass sich die 147 Kartons tatsächlich auf dem Sattelauflieger befunden haben. In dem vom BGH entschiedenen Fall stand ein Organisationsverschulden in Form einer fehlenden Schnittstellenkontrolle fest. In diesem Fall nahm der BGH an, dass den Beklagten Frachtführer eine höhere Darlegungs- und Beweislast treffe nämlich. In jenem Fall musste er statt der Schnittstellenüberwachung darlegen und beweisen, dass das später abhandengekommene Frachtgut auch tatsächlich auf dem Transportfahrzeug gewesen sei.

Da die Beklagte weder aus den Frachtpapieren noch aus sonstigen Umständen auf den Warenwert von ca. 30.000 Euro und die leichte Verkäuflichkeit der Ware (Kleidung) auf ein erhöhtes Diebstahlsrisiko hätte schließen können, sei sie auch nicht zum Ergreifen besonderer Sicherheitsmaßnahmen für den Transport verpflichtet gewesen.

Rechtstipp:
Bei Verlust von Frachtgut muss der Frachtführer immer damit rechnen, dass der Absender seinen Anspruch auf qualifiziertes Verschulden wegen fehlender Schnittstellenkontrolle stützt. Daher ist es insbesondere beim Warenumschlag dringend zu empfehlen, eine Dokumentation darüber zu führen, wer, wann, wem und wo das Frachtgut übergeben hat. Für größere Unternehmen ist dies aufgrund der Einführung moderner tracking-Systeme mit Barcode und QR-Erfassung kein Problem.
(eingestellt am 20.04.2022)