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Arbeitsrecht
Bemessung der Lohnsteuer anhand von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, Zahlung von Verwarngeld durch die Arbeitgeberin nicht zwingend ein zu versteuernder geldwerter Vorteil für Arbeitnehmer, Nichtinanspruchnahme der jeweiligen Fahrer wegen der Verwarnungsgelder für Verstöße gegen Halteverbote ist im Einzelfall kein Arbeitslohn im Sinne des §§ 19 EStG, innerbetriebliche Schadensausgleich, Mitverschulden

In einer jüngeren Entscheidung des Finanzgerichts Düsseldorf hat dieses festgestellt, dass die Zahlung der Verwarnungsgelder durch die Arbeitgeberinnen, die gegen deren Fahrer verhängt wurden, nicht als einkommensteuerpflichtige, vermögenswerte Leistung der Arbeitnehmer anzusehen sind. Unter Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden innerbetrieblichen Schadensregelungen habe die Arbeitgeberin in konkreten Fall keinen Anspruch gegen ihre Arbeitnehmer auf Erstattung der von ihr gezahlten Verwarngelder.

Finanzgericht Düsseldorf Urt. v. 12.11.2021, Az.: 1 K 2470/14 L

angewendete Vorschriften: § 19 EStG, §§ 611a, 241 Abs.2, 276, 280 Abs.1, 254, 619a BGB

Die Arbeitgeberin betreibt einen Paketlieferungs –und Zustelldienst. Sie konnte nachweisen, dass sie ihre Fahrer permanent schult und zur Einhaltung der StVO anhält. Allerdings sollte auch gewährleistet sein, dass die Paketauslieferung 24/7 möglichst zeitnah und unverzüglich erfolgen sollte. Insbesondere im Innenstadtbereich war dies allerdings nur zu gewährleisten, wenn die Fahrer in der Nähe ihrer Kunden parken und dann regelmäßig gegen die Vorschriften der StVO verstießen.

Die Arbeitgeberin zahlte dann die gegen sie gerichteten, von ihren Arbeitnehmern verursachten Verwarnungsgelder, ohne diese dann von ihren Arbeitnehmern zurückzuverlangen. Obwohl die Arbeitgeberin eigentlich andere Rechtsauffassung war, wies sie dann diese Verwarnungsgelder als geldwerten Vorteil im Gehalt aus, so dass dieser Betrag entsprechend versteuert wurde. Hiergegen richtete sich die Klage der Arbeitnehmerin. Das Finanzgericht hat diese Hinzurechnung nicht als geldwerten Zufluss gesehen, da der Arbeitgeberin nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen ein Erstattungsanspruch gegen die Arbeitnehmer nicht zustünde.

Zwar könne ein geldwerter Vorteil (Vermögensvorteil) und damit Arbeitslohn im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zwar auch dann gegeben sein, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine realisierbare Forderung nach § 397 Abs. 1 BGB erlässt.

Im vorliegenden Fall sei die Forderung aber aus rechtlichen Gründen nicht realisierbar.

Die Arbeitnehmer seien zwar auch nicht nach den Grundsätzene des innerbetrieblichen Schadensausgleiches von einer Haftung gegenüber dem Arbeitgeber befreit. Der Begriff des "innerbetrieblichen Schadensausgleichs" stammt aus dem Arbeitsrecht und umfasst die Fälle, in denen der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Arbeitsleistung dem Arbeitgeber z.B. einen Sachschaden zufügt. Der Arbeitnehmer kommt in den Genuss einer nach Verschuldensgraden abgestuften Haftungsprivilegierung, sofern er Schäden an den Rechtsgütern des Arbeitgebers im Rahmen einer betrieblich veranlassten Tätigkeit herbeiführt. Die Einschränkung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Arbeitnehmer in die organisatorische Einheit des Betriebs eingegliedert wird, um den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs durch eine weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Der Arbeitnehmer hat typischerweise nur einen beschränkten Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsabläufe. Der Arbeitgeber trägt die Verantwortung für die Betriebsorganisation und die Steuerung der Arbeitsprozesse. Diese Organisationshoheit muss sich der Arbeitgeber ebenso wie das Betriebsrisiko stets dann anrechnen lassen, wenn es im Betriebsablauf zu Schadensereignissen kommt (Henssler in Münchener Kommentar zum BGB - MünchKomm -, 8. Aufl. 2019, § 619a BGB Rn 8, 9). Die Haftung für solche Schäden, die anlässlich einer im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbrachten Arbeit verursacht werden, ist gegenüber dem allgemeinen Haftungsmaßstab beschränkt und davon abhängig, ob es sich um eine besonders gefahrenträchtige Arbeit handelt. Bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit ist der Schaden allerdings voll zu ersetzen (vgl. BAG-Urteil vom 18.02.2002 - 8 AZR 348/01, BAGE 101, 107-121 [BAG 18.04.2002 - 8 AZR 348/01]). Da die Fahrer die Verstöße gegen die StVO aber offenkundig sogar mit bedingtem Vorsatz begangen hätten, seien sie nicht vor Haftung geschützt.

Im Streitfall sah das Gericht aber eine Verpflichtung der Fahrer zum Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB bereits durch ein von Amts wegen zu prüfendes mitwirkendes Verschulden der Arbeitgeberin im Sinne des§ 254 Abs. 1 BGB für ausgeschlossen oder zumindest eingeschränkt an.

Nach § 254 Abs. 1 BGB ist die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des Ersatzes davon abhängig, inwieweit der Schaden vorwiegend vom Schädiger oder vom Geschädigten verursacht worden ist. Diese Prüfung ist unabhängig von der zuvor dargestellten Beschränkung des Haftungsmaßstabes nach den Grundsätzen des "innerbetrieblichen Schadensausgleichs" vorzunehmen. Auf dieser Ebene können sich haftungsbeschränkend z.B. konkrete Organisationsmängel oder eine mangelhafte Überwachung der Tätigkeit auswirken (vgl. BAG, NZA 2015, 1517 [BAG 21.05.2015 - 8 AZR 116/14], Rn 25; BeckOK ArbR/Hesse, 61. Ed. 1.9.2021 Rn 16, 17). Ein vorsätzliches Handeln des Schädigers schließt eine Minderung des Schadensersatzanspruches im Rahmen der bei § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung nicht grundsätzlich aus (vgl. Ebert in: Erman, BGB, a.a.O., § 254 BGB Rn 93).

Aufgrund der Betriebsorganisation - unverzügliche Auslieferung 24/7 - seien die Verstöße gegen die StVO geradezu vorgegeben gewesen, so dass ein so hohes Mitverschulden der Arbeitgeberin vorliege, dass der Rückforderungsanspruch nicht gegeben sei

Praxistipp:
Für Arbeitgeber, die Schadensersatzansprüche gegen Ihre Mitarbeiter geltend machen wollen, sollten sich fragen und prüfen lassen, ob sie die erhöhten Anforderungen für einen solchen Anspruch darlegen und beweisen können. Arbeitnehmer, die nicht vorsätzlich und grob fahrlässig gehandelt haben, sollten gegen sie gerichtete Ansprüche zurückweisen. In beiden Fällen empfiehlt sich eine Prüfung des Sachverhaltes durch einen Rechtsanwalt.
(eingestellt am 01.05.2022)