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Arbeitsrecht
Sozialversicherungspflicht einer Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer; Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit im Hinblick auf die fehlende Rechtsmacht durch eine weitgehende Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung; Unerheblichkeit einer schuldrechtlichen Stimmbindungsvereinbarungen

Das Landessozialgericht Sachsen (LSG) hat in seinem Urteil vom 13.01.2021 festgestellt, dass auch ein Gesellschaftergeschäftsführer in einem abhängig beschäftigten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehen kann, wenn er in tatsächlicher und faktischer Hinsicht die GmbH ohne Ausübung der Weisungsrechte der Gesellschafter und aufgrund seiner Fach- und Sachkompetenz die klagende GmbH als „Kopf und Seele“ unabhängig führe.

LSG Sachsen, Urteil vom 13.01.2021, Az.: L 2 KR 202/16

Angewendete Vorschriften: §§ 7a,7 SGB IV

Die Klägerin, eine GmbH, bei der der Beigeladene zu 1 als Gesellschafter-Geschäftsführer tätig war, begehrte die Feststellung, dass diese aufgrund der Art und Weise der Ausübung seiner Tätigkeit nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, sozialen Pflege- und gesetzlichen Rentenversicherung unterliege. Die Beklagte DRV hatte mit Bescheiden gemäß § 7a SGB (Statusfeststellungsverfahren) die Versicherungspflicht festgestellt.

Die Klägerin hat dagegen ausgeführt, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis Ihres Gesellschafter Geschäftsführers habe nicht vorgelegen. Dieser sei der einzige Gesellschafter, der über die für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes notwendigen Kontakte verfüge. Der Gesellschafter-Geschäftsführer habe auch über weite Strecken unentgeltlich gearbeitet. Er habe seine Tätigkeit neben einem Studium ausgeübt, zu dem er ordentlich eingeschrieben war. Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin habe keine zustimmungspflichtigen Geschäfte für den Geschäftsführer vorgesehen. Tatsächlich habe der Gesellschafter-Geschäftsführer weisungsunabhängig und selbstständig über die Geschicke der Klägerin entschieden. Dass die übrigen Gesellschafter dem Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund der Satzung Weisungen hätten erteilen können, sei unbeachtlich, weil dies tatsächlich nicht erfolgt sei. Der Gesellschafter-Geschäftsführer erhielt neben Gehalt auch eine Tantieme, was sein Unternehmerrisiko zeige. Der Gesellschafter-Geschäftsführer sei „Kopf und Seele“ der Klägerin. Er allein sei für die operativen Entscheidungen zuständig und verantwortlich gewesen. Trotz seiner Beteiligung am Stammkapital der Klägerin von weniger als 50 % habe er einen maßgeblichen Einfluss auf die Klägerin ausgeübt. Er allein habe auch Mitarbeiter eingestellt oder entlassen, ohne dass es insoweit Beschlüsse der Gesellschafter hierzu gegeben hätte. Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer seine Vergütung gestundet habe. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hatte im Rahmen von Statusfeststellungsverfahren nach § 7 Buchst. a Abs. 1 S. 1 SGB IV mit entsprechenden Bescheiden festgestellt, dass trotz aller von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen, die für ein nicht bestehendes Beschäftigungsverhältnis sprachen sprechen, ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zwischen dem Gesellschafter-Geschäftsführer und der GmbH bestanden habe.

Nach § 7 Absatz 1 S. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigungen sind eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSGE) (siehe nur BSGE, Urteil vom 14.03.2018 - B 12 KR 13/17 R-Juris Rn. 16 f.) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Bei untergeordneten einfachen Arbeiten ist regelmäßig eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation anzunehmen. Demgegenüber ist eine selbsständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freigestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Bei dieser Abwägung kommt dem Kriterium der Rechtsmacht eine besondere Bedeutung zu. Das BSGE, dessen Rechtsmeinung das LSG uneingeschränkt folgt, hat festgestellt, dass eine solche Rechtsmacht, die für eine selbständige Tätigkeit spreche, nur dann gegeben sei, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder ihn bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Im zu entscheidenden Fall hielt der Gesellschafter-Geschäftsführer weniger als 50 % der Gesellschaftsanteile und es gab lediglich außerhalb des Gesellschaftsvertrages so genannte Stimmbindungsrechte der Gesellschafter.

Solche außerhalb des Gesellschaftsvertrages schuldrechtlich vereinbarten Stimmbindungsabreden und Veto-Rechte reichen nach Auffassung des LSG nicht aus, die uneingeschränkte Rechtsmacht für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit zu begründen.

Auch die Gewährung einer Tantieme genüge nicht, um die Annahme einer abhängigen Beschäftigung auszuschließen, zumal Gewährung von Tantiemen an Arbeitnehmer nicht außergewöhnlich seien (BSGE, Urteil vom 29.08.2012-B 12 KR 25/10-Juris RN. 28). Auch die Gewährung von Darlehen begründet nur einen Haftungs- oder Ausfallrisiko, nicht aber unternehmerische Gestaltungsmöglichkeiten (vergleiche BSGE, Urteil vom 19.08.2015-B 12 KR 9/14-Juris Rn. 33). Das LSG vertritt die Meinung, dass nichts anderes für die Stundung der Vergütung gelten könne. Auch das so genannte „Kopf-und Seele“-Argument könne an dem Ergebnis einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nichts ändern. Zum einen habe das BSGE seine „Kopf und Seele“ -Rechtsprechung aufgegeben. Danach wurde häufig bei familiengeführten, kleineren Unternehmen eine selbstständige Tätigkeit angenommen, wenn ein Familienmitglied das Unternehmen sozusagen als „Kopf und Seele“ selbständig, ohne Weisungsabhängigkeit und frei in den unternehmerischen Entscheidungen geführt hat. Auch leitende Angestellte könnten aufgrund jeweils erforderlicher Branchenkenntnisse als „Kopf und Seele“ -Führung auftreten.

Das LSG hat in der Berufungsinstanz die Statusbescheide der Beklagten bestätigt, nach denen ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis bestand.

Praxistipp:
Da nach der restriktiven Rechtsprechung grundsätzlich eine Sozialversicherungspflicht des GmbH-Geschäftsführers besteht, die nur in einigen eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen entfällt, sollten insbesondere inhabergeführte Gesellschaften mit der Abführungspflicht der Sozialversicherungsabgaben rechnen. Aufgrund der enormen Kosten, die an der sozialrechtlichen Einordnung eines Gesellschafter-Geschäftsführers hängen können, sollten insbesondere die familiengeführten Unternehmen eine rechtliche Beratung in Erwägung ziehen. Als vorbeugende Maßnahmen bietet sich dann zum einen ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7 Buchst. a SGB IV oder die Anpassung der Gesellschaftssatzung an.
(eingestellt am 22.04.2022)