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Transportrecht und Speditionsrecht
Unerreichbarkeit eines Zeugen, Streit über transporttaugliche Verpackung
Die Frage der Unerreichbarkeit eines Zeugen spielt häufig bei Streitigkeiten im Transport- und Speditionsrecht eine entscheidende Rolle, wenn der Frachttransport grenzüberschreitend ist und einer der daran persönlich Beteiligten, z.B. der Fahrer oder ein Mitarbeiter der Verpackungsfirma seinen Wohnsitz im Ausland hat.

Stellt ein Gericht in einem Verfahren die Unerreichbarkeit des Zeugen fest, so wird in analoger Anwendung von § 244 Abs. 4 StPO davon ausgegangen, dass der Sachverhalt, der mit dem Zeugen bewiesen werden sollte, nicht gegeben ist. Derjenige, der den Beweis zu führen hat, bleibt beweisfällig. Die Entscheidung fällt dann zu seinen Lasten aus.

Ein im fernen Ausland lebender Zeuge gilt nicht schon deshalb als nicht erreichbar, weil er mitgeteilt hat, dass er nicht anreisen und aussagen wird.

BGH, Beschluss vom 22.Juli 2021 – I ZR 180/20

Angewendete Vorschriften/Normen:
ADSP (2003) 27.1 Fall 3; BGB § 280, § 631; Grundgesetz Art. 103 Abs. 1; HGB §§ 454 Abs. 2 S. 1; StPO § 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 5; ZPO § 128 Buchst. a Abs. 2, § 284 S. 2, § 544 Abs. 9

Der BGH hat in dem genannten Beschluss ausführlich dargelegt, unter welchen Voraussetzungen von der Nichterreichbarkeit eines Zeugen ausgegangen werden darf, ohne dass der Anspruch des beweisbelasteten auf rechtliches Gehör verletzt wird.

Im 2. Leitsatz seiner Beschlussentscheidung führt der BGH aus: Die fehlende Bereitschaft eines Zeugen, in Deutschland auszusagen, führt für sich alleine nicht dazu, dass dieses Beweismittel unerreichbar wäre. Steht fest, dass ein im Ausland lebender Zeuge vor dem Prozessgericht nicht erscheinen wird, so darf er trotz der Möglichkeit der Vernehmung durch den Rechtshilferichter gemäß § 363 ZPO nur dann als unerreichbar angesehen werden, wenn nur seine persönliche Vernehmung vor dem erkennenden Gericht zur Wahrheitsfindung beizutragen vermag. Ob dies der Fall ist, hat das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Erwägungen müssen schlüssig ergeben, weshalb die Vernehmung vor einem ersuchten Richter zu Sachverhaltsaufklärung ungeeignet und daher ohne jeden Beweiswert ist.

Im Ausgangsfall stritten die Parteien um Schadenersatz wegen der Verletzung einer kraft besonderer Vereinbarung übernommenen Verpflichtung zur Verpackung durch die Frachtführerin. Streitig war zwischen den Parteien, ob der Frachtführer die richtige Verpackung eingesetzt hatte, um die zu transportierenden Maschinen bei dem notwendigen Seetransport vor Korrosion zu schützen. Die Klägerin begründet ihren Schadensersatzanspruch damit, dass es sich bei der von der Beklagten angebrachten Verpackung nur um Staubschutzfolie gehandelt habe und die darunter eingebrachten Trockenmittel nicht sachgerecht aufgestellt und in ausreichender Menge aufgestellt worden seien. Die Beklagte Frachtführerin hat dagegen eingewandt, dass die von ihr verwendete Folie eine so genannte VCI-Folie gewesen sei, die man auch verschweißt habe. Deswegen sei die Menge des von ihr eingebrachten Trocknungsmittels unter der Folie ausreichend gewesen.

 

Für ihre Behauptung hatte die Beklagte einen Zeugen mit Wohnsitz in den vereinigten Staaten von Amerika benannt. Dieser habe allerdings mitgeteilt, dass er nicht zu einer Aussage nach Deutschland anreisen werde.

Das Berufungsgericht hatte der Klägerin Recht gegeben, wobei es davon ausging, dass aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme und des Havariegutachtens feststehe, die Beklagte habe eine unzureichende Verpackungsart mit Staubfolie und Trockenmitteln gewählt. Auf den substantiierten Vortrag der Beklagten, wonach eine VCI Folie mit ausreichend Trockenmittel verwendet worden sei ist das Berufungsgericht in nicht eingegangen. Die Einvernahme des in Amerika wohnenden Zeugen hat dann das Gericht auch gar nicht mehr in Erwägung gezogen. Darin hat der BGH eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Paragraf Art. 103 GG gesehen. Der BGH ist daher davon ausgegangen, dass der benannte Zeuge hätte gehört werden müssen.

Da das Berufungsurteil aufgehoben und an das OLG zurückverwiesen wurde, hat der BGH vorsorglich auch ausgeführt, der Vernehmung des in Amerika wohnenden Zeugen stehe eine Unerreichbarkeit nicht entgegen. Der BGH weist zunächst auf die Möglichkeit der Vernehmung durch den Rechtshilferichter gemäß § 363 ZPO hin. Von dieser Möglichkeit könnte nur Abstand genommen werden, wenn das Gericht in seiner Entscheidung nachvollziehbar und nachprüfbar seine Ermessensausübung darlege, weshalb die Vernehmung vor einem ersuchten Richter zur Sachaufklärung ungeeignet und daher ohne jeden Beweiswert sei und nur die persönliche Vernehmung des Zeugen vor dem erkennenden Gericht zur Wahrheitsfindung beitrage. Selbst wenn das Gericht bei seiner Abwägung zu dem Ergebnis gelangen würde, dass ein persönlicher Eindruck unverzichtbar sei, hätte es zu erwägen, ob es den im Ausland lebenden Zeugen gemäß § 128 Buchst. a Abs. 2 und 284 S. 2 ZPO im Wege der Bild und Tonübertragung vernehmen habe.

Eine Vernehmung des Zeugen in dieser Weise käme im Streitfall in Betracht, weil die vereinigten Staaten von Amerika zu den Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens vom 12.03.1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen gehörten. In Art. 9 Abs. 2 dieses Übereinkommens ist ein Antrag des ersuchenden Gerichtes, nach einer besonderen Form zu verfahren, vorgesehen, dem grundsätzlich entsprochen werden soll. Damit kann auch eine Verhandlung oder Vernehmung im Wege der Videokonferenztechnik gemeint sein.

Da das Berufungsgericht sein Ermessen, ob und gegebenenfalls wie eine Vernehmung des amerikanischen Zeugen im Wege der Rechtshilfe in Betracht käme, in seinem Urteil nicht erkennbar ausgeübt habe, sei von einer Unerreichbarkeit des Zeugens nicht auszugehen.

Rechtstipp:

Auch wenn ein Zeuge in einem gerichtlichen Verfahren, der seinen Wohnsitz im Ausland hat und bei dem erkennbar ist, dass er nicht anreisen wird, ist er auf jeden Fall zu benennen. Sollte das Gericht dann in seine Verhandlunsgführung erkennen lassen, dass es den Zeugen für unerreichbar hält und der Beweis deswegen nicht geführt werden könne, kann durch entsprechende Antragstellung eine Vernehmung des Zeugen im Wege der Bild und Tonübertragung erreicht werden.
(eingestellt am 08.02.2022)