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Arbeitsrecht
Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern, Gigworkern u. ä. - nicht ausgeschlossen, sondern möglich
Obwohl die Coronakrise in 1. Linie mit Einschränkungen, wirtschaftlichen Verlusten und Nachteilen wahrgenommen wird, darf nicht verkannt werden, dass Corona die sich ohnehin immer schneller entwickelnde Digitalisierung der Arbeitswelt zusätzlich vorangetrieben hat. So gehört die Plattformökonomie zu den Gewinnern der Coronakrise. Die damit einhergehenden neuartigen Beschäftigungsverhältnisse und – konstellationen werfen natürlich auch neue Rechtsfragen auf. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung aus Dezember 2020 Leitplanken für die Bestimmung des Arbeitnehmerstatus von Crowdworkern aufgestellt.
BAG Urteil vom 01.12.2020-9 AZR 102 / 20

Angewendete Vorschriften/Normen:
§ 611a Abs 1 BGB, § 612 Abs 2 BGB, § 615 S 1 BGB, § 623 BGB, § 106 GewO

Das Bundesarbeitsgericht hat sozusagen unter Anwendung des „Old Law“ eine neue Beschäftigungskonstellation aus dem „New Work“ beurteilt.

Der Leitsatz der Entscheidung lautet:
Die kontinuierliche Durchführung einer Vielzahl von Kleinstaufträgen ("Mikrojobs") durch Nutzer einer Online-Plattform ("Crowdworker") auf der Grundlage einer mit dem Betreiber ("Crowdsourcer") getroffenen Rahmenvereinbarung kann im Rahmen der nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB gebotenen Gesamtbetrachtung zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses führen, wenn der Crowdworker zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, die geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenart nach einfach gelagert und ihre Durchführungen inhaltlich vorgegeben sind sowie die Auftragsvergabe und die konkrete Nutzung der Online-Plattform im Sinne eines Fremdbestimmens durch den Crowdsourcer gelenkt wird.

Die Beklagte ist ein so genanntes Kraut so sind Unternehmen das seinen Kunden die Kontrolle ihrer Präsentationen ihrer Markenprodukte im Einzelhandel und an Tankstellen anbietet. Der Beklagte besorgte sich über die App des Kraut zur Source von diesem ausgeschriebenen Mikrojobs. Diese müssen den Besuch der Präsentationsstädten innerhalb eines zeitlichen Rahmens und einer für jeden Einzelfall erteilten Auftragsbeschreibung abarbeiten. Wenn er dieser Auffassung des Kraut zur Source ordentlich erfüllt hatte konnte er die Aufträge abrechnen. Streitig zwischen den Parteien war unter anderem ob in der Vergütung auch Mehrwertsteuer enthalten sein sollte.

Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst die Rechtsauffassung der Vorinstanz bestätigt, wonach auch bei diesen Beschäftigungsverhältnissen des Newbiewerks für die Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines selbstständigen Unternehmers von den rechtlichen Grundsätzen ausgegangen werden muss, die sich aus § 611 Buchst. a BGB ergeben.

Nach § 611a Abs. 1 BGB wird ein Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet(Satz 1). Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen (Satz 2). Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmten kann (Satz 3). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (Satz 4). Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen (Satz 5). Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an (Satz 6).

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil in fast lehrbuchhafte Art und Weise unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsauffassung und Rechtsprechung (Paul Chlor) dargelegt, wann Weisungsgebundenheit, Fremdbestimmtheit und persönliche Abhängigkeit in einem Beschäftigungsverhältnis vorliegen können. Nachdem es dann unter der gesetzlich  vorgeschriebenen Gesamtbetrachtung aller Umstände in die Eigenart untersucht hatte kam es zu dem Ergebnis, dass wir unabhängig von der Bezeichnung im streitgegenständlichen Vertrag ein Arbeitsverhältnis
zwischen den Parteien bestand, in dem auch alle Arbeitnehmerschutzrechte, wie z.B. derKündigungsschutz, Anwendung finden würden.

Rechtstipp:
Auch wenn für das Beschäftigungsverhältnis eines Crowdworkers vertragliche Vereinbarung bestehen, die erkennbar darauf gerichtet sind, kein Arbeitsverhältnis, sondern nur freie Mitarbeiterschaft zu begründen, sollte der Crowworker eine juristische Überprüfung durch einen fachkundigen Rechtsanwalt vornehmen lassen, wenn er sich ausgenutzt, übervorteilt oder
schlichtweg ungerecht behandelt fühlt.
(eingestellt am 01.02.2022)